GRENZGÄNGE STADTRAND (2020)

Regionale Kulturarbeit

Die Arbeit am Projekt „Grenzgänge Stadtrand“, das wesentlich umfangreicher angelegt war, als vorherige Projekte des Theaterlabors in der Region, war geprägt von der Überwindung gewaltiger Hindernisse. Nicht nur galt es, gewisse Grundgedanken, wie die verstärkte Einbindung nichtprofessioneller Mitwirkender, anders zu denken. Es galt vor allem, andere Formate zu erfinden und auszuprobieren, die eine physische Nähe zwischen Akteuren und Publikum vermieden.

Gemeinsam mit vielen Akteuren entwickelten wir völlig neue Konzepte, die den theatralischen und performativen Ansatz mit filmischen und Streamingformaten verband. Der Begriff GRENZE bekam dadurch eine völlig neue Dimension – auch das Theater musste seine Grenzen überwinden, die Mitwirkenden musste völlig andere Expertisen erwerben.

Trotz all der Widrigkeiten haben wir es geschafft, mitten in der Pandemie ein großes regionales Projekt zu stemmen.

 

Erinnerungsspaziergänge – Künstlerische Auftragsfilme

Die ursprüngliche Idee, Menschen, die sich in Quarantäne befinden, anzusprechen, die sich gefilmte Spaziergänge wünschen konnten, verselbstständigte sich schnell. Eine Vielzahl an unterschiedlichen filmischen Kunstwerken ist im Lauf der Monate entstanden, alle hoch individuell, konzipiert jeweils entlang der Bedürfnisse der beteiligten Menschen. Alle produzierten Erinnerungsspaziergänge sind auf Youtube, Facebook und auf den Kanälen der beteiligten Partner veröffentlicht worden. Darüber hinaus sind alle Filme auf der Seite von NRWision veröffentlicht worden. Im Winter 2020 hat ein Online-Filmabend auf Zoom als reguläre Theaterlabor Veranstaltung im Spielplan stattgefunden, zu dem alle Beteiligten eingeladen wurden. An diesem Abend gab es einen lebendigen und regen Austausch zwischen dem Publikum und den „Filmschaffenden“.

Ein Besuch im Feenwald

Der Film kommt dem Wunsch der Ich-Erzählerin nach, einen Besuch im Feenwald zu machen. Sie lässt in ihrer Erinnerung einen lange zurückliegenden, ersten Spaziergang im sogenannten „Feenwald“ im Naturschutzgebiet Blömkeberg in Bielefeld wieder aufleben. Vor Jahren war sie mit ihrer Familie unterwegs gewesen und hatte damals, „als die großen Kinder noch klein waren“, den Feenwald zufällig entdeckt. Seitdem gehört der Spaziergang zu einem festen Ritual der Familie. Die Stimme der Frau ist als Audiospur zu hören, zwischen ihr und ihrem Mann entspinnt sich eine Unterhaltung über die gemeinsamen Erinnerungen. Im Film sind ihr Mann und ihr Sohn bei einem Spaziergang durch eben diesen Wald zu sehen. Die Erzählerin selbst kann nicht dabei sein, sie befindet sich in Quarantäne. In das Skript sind Gedichte und Texte von Emil Besser, Adalbert Stifter und Friedrich Brunold eingearbeitet. Dieser erste Erinnerungsspaziergang, der im April 2020 entstand, setzte die Idee, einzelnen, von der Pandemie betroffenen Menschen einen gefilmten Spaziergang zu ermöglichen, vollständig um.

Entstehungszeit: April 2020
Kooperationspartner: privat

Erinnern und Entdecken – ein Besuch auf dem Johannisberg

Der filmisch begleitete Spaziergang über den Johannisberg kam durch die Kooperation mit dem Rotary Club Bielefeld-Sparrenburg zustande. Ziel des Projekts war die gezielte Ansprache von vor allem älterer Mitbürger*innen, die die wechselhafte Geschichte des Johannisbergs als Teil ihrer persönlichen Biografie verstehen. Der Spaziergang arbeitete viele Details zu Ereignissen auf dem Johannisberg heraus, die von einer Erzählerin, die einem Schauspieler des Theaterlabors eine exakte Wegbeschreibung mit Erläuterungen zu Einzelheiten des Weges übergeben hatte, in einer über dem Film liegenden Audiospur vorgetragen wurden. Die stimmungsvollen Bilder im 9 minütigen Film sind bei wunderbarer Abendsonne entstanden. Nach der Fertigstellung sind Kopien des Films durch die Mitglieder des Rotary Clubs Bielefeld-Sparrenburg an Alten- und Pflegeheime verteilt worden.

Entstehungszeit: Mai 2020

Kooperation: Rotary Club Bielefeld-Sparrenburg

RADRENNBAHN ERFAHREN – Unterwegs in einem lebendigen Denkmal

Der kürzeste Film der Reihe war der technisch anspruchsvollste: Ziel war es, das Bielefelder Baudenkmal „Radrennbahn“ möglichst lebendig zu zeigen. Dafür wurde eine Drone eingesetzt, Bahnfahrer von einer Filmcrew im fahrenden Auto gefilmt, ein eigener Soundtrack produziert und 4 aktive Vereinsmitglieder zu Darsteller*innen im Film. Auch hier wurde eine Audiospur als Erzählgrundlage vorproduziert, in diesem Fall waren die Texte dialogisch angelegt und wurden von Schauspieler*innen eingesprochen.

Den Vereinsmitgliedern lag besonders am Herzen, „ihre“ Bahn lebendig werden zu lassen, da zum Drehzeitpunkt seit Monaten kein Training mehr stattgefunden hatte und den anderen Mitgliedern so zumindest ein „Zeichen“ gesendet werden sollte: Wir sind noch da, wir werden wieder anfangen, sobald es geht. Der Film wurde zum Tag des Denkmals vom Förderverein der Radrennbahn bundesweit veröffentlicht.

Entstehungszeit: Juni 2020

Kooperationspartner: Förderverein Radrennbahn Bielefeld, Radclub Zugvogel Bielefeld von 1924

Erinnerungsreise – Ein Spaziergang durch Bethel

Dieses Filmprojekt ist eine Zusammenarbeit zwischen den Sarepta Schwestern in Bethel und dem Theaterlabor in Bielefeld. Nachdem das Jubiläum der Einsegnung Corona-bedingt ausfallen musste, entstand die Idee zu diesem Film. Zunächst gedacht als filmischer Gruß an drei außerhalb Bielefelds lebender Mitschwestern, entstand letztlich ein Film, der sowohl Einblicke in die Schwesternschaft und ihre Verbindung zum Stadtteil Bethel zeigt, aber auch ganz persönliche Erinnerungen und Erzählungen der Schwestern beinhaltet. So macht der Film eine besondere Facette Bethels sichtbar und zeigt Wandel und Wurzeln des Stadtteils. Die Protagonistinnen des Films sind die Schwestern Edith und Annemarie, die verschiedene Orte des Stadtteils besuchen. Im Vorfeld zum Dreh fanden mehrere Treffen der beiden Schwestern mit Mitgliedern des Theaterlabors statt, während derer ein sehr persönlicher und anregender Austausch stattfand und erste gemeinsame Ideen für den Film entstanden. Zusammen mit dem Kameramann wurden dann Spaziergänge durch den Stadtteil Bethel unternommen, um gemeinsam die Route bzw. die einzelnen Drehorte für den Film auszuwählen. Der Text für die Audiospur des Filmes ist ebenfalls eine Gemeinschaftsarbeit zwischen den Schwestern und den Mitgliedern des Theaterlabors. Aufgenommen wurde die Tonspur mit den Schwestern im Theaterhaus Tor 6. Für einige Drehorte mussten für den Dreh separate Absprachen getroffen werden, um dort drehen zu können (z.B. für die Zions-Kirche und das frühere Mutterhaus der Schwesternschaft, heute die Pflegeschule in Bethel). So entstand für den Drehtag ein straffer Zeitplan, an dem die Kapelle des Hauses der Stille, die Zionskirche, das ehemalige Kinderkrankenhaus in Bethel, das Haus Schutz, das ehemalige Mutterhaus der Sarepta-Schwestern, das ehemalige Gebäude der Brockensammlung, der Bohnenbach und der Verkehrskreisel mit der Skulptur Himmelsleiter besucht.

Entstehungszeit: September 2020

Kooperationspartner: von Bodelschwingsche Stiftungen

GrenzTV
Forschungsreise mit Expert:innen an der Stadtgrenze von Bielefeld

Ein weiteres Format im Grenzgänge-Projekt, das das Theaterlabor-Ensemble an vier aufeinander folgenden Freitagen live im Internet produziert hat, war GrenzTV.

Da sich im Mai/Juni 2020 jegliche Art von Live-Theaterveranstaltungen im Freien als nicht pandemiekonform herausstellte, musste das Ensemble kurzfristig in den digitalen Raum ausweichen und Konzepte erarbeiten, die auch unter den gegebenen Umständen durchführbar waren. Auf der geografischen Stadtgrenze Bielefelds fanden unter Beteiligung verschiedener Expert*innen informative und gleichzeitig abseitig, skurrile Live-Events statt, die künstlerisch vom Ensemble gestaltet wurden. Da sich Live-Publikum wegen der coronabedingten Einschränkungen verbat, wurden die ca. 20 minütigen Sendungen „live von der Wiese ins Netz“ gestreamt. Die Zuschauer*innen konnten aus sicherer Entfernung dem Treiben beiwohnen. Dramaturgisch zusammengehalten wurde die Reihe durch eigens produzierte Clips des „Stadtrandläufers“, der beim Laufen rund um die Stadt gefilmt wurde und an verschiedenen Stationen halt machte. Die Clips dienten als Trailer im Vorfeld der Life-Ausstrahlungen der Veranstaltungen. Für jede der vier Veranstaltungen wurde ein eigener Clip produziert. Eine Herausforderung, die mit einigem Aufwand gemeistert wurde, war die Sicherstellung stabiler Internetverbindungen im Ländlichen.

Grenz TV #1 live von der Stadtgrenze zu Enger (Jöllenbeck)

Freitag, 29.05. 18:00 Uhr Live am Krötenzaun

Eine Expertin des BUND gab in einem Interview Auskunft über die Situation der Kröten am Krötenzaun in Enger/Jöllenbeck und über die Bemühungen der Helfer*innen, die Kröten sicher über die Straße zu tragen. Umrahmt wurde das Gespräch von schauspielerischen Interventionen.

Grenz TV #2 live von der Stadtgrenze zu Altenhagen (Heepen)

06.06. 18:00 Uhr Live an der Fischtreppe

Die zweite Grenz-TV Sendung scheiterte fast am Wetter: Sturmböen und Regenschauer machten eine Live-Schalte aus Altenhagen wegen technischer Bedenken unmöglich und so musste die Sendung kurzfristig in das TOR 6 Theaterhaus verlegt werden. Es wurde umgeprobt und improvisiert, um 18:00 ging das Ensemble live auf Sendung.

Eine Lehrerin für Alexander-Technik informierte im Interview über die Zusammenhänge von Denken und Bewegen und gab am Skelett praktische Hinweise zum besseren Gebrauch. Schauspielerisch wurde die Skelett-Inspiration weitergeführt: Die Darsteller*innen präsentierten physisches Material, inspiriert durch prominente Nachkommen der Saurier: Vögel.

Grenz TV #3 live von der Stadtgrenze zu Steinhagen (Quelle)

12.06. 18:00 Uhr Heimatedition

In Quelle stehen die Überreste des ehemaligen Strafgefangenenlagers Oberems, dessen Insassen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu Zwangsarbeit bei den lokalen Landwirten gezwungen wurden. Im Interview gab der Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Quelle darüber Auskunft und verwies auf die -seiner Ansicht nach- nicht ausreichende Aufarbeitung dieses bedrückenden Teils der Bielefelder Stadtgeschichte. Künstlerisch steuerte das Trio Gummersbach/Kaling/Grunert eine stille Performance bei.

Grenz TV #4 live von der Stadtgrenze zu Oerlinghausen (Senne)

19.06. 18:00 Uhr Der Pudding ist umrundet

Die letzte Folge von Grenz-TV führte alle losen Enden zusammen: Der Stadtrandläufer äußerte sich öffentlich im Interview zu seinen Erfahrungen auf der Grenze. Das Ensemble spielte bildhaft im Einklang mit dem Wald und der angrenzenden Landschaft. Zum Abschluss der Reihe wurden die vergangenen Erlebnisse rekapituliert und Neuigkeiten berichtet: Die frisch geschlüpften Kröten seien nun auf dem Rückweg, konnte die Moderatorin den Zuschauenden vermelden.

GrenzKlänge

Kultur zu den Menschen zu bringen, die besonders isoliert sind – das ist die Idee von GrenzKlänge. In Kooperation mit dem Musik-Duo FLUZ organisierte das Theaterlabor drei Konzerte auf PopUp-Bühnen. In Absprache mit bzw. auf Wunsch von verschiedenen Bielefelder Wohneinrichtungen bereitete das Team den älteren Bewohner:innen ein wenig Abwechslung und Freude.

Termine: April bis Juni 2020

Inszenierung „Don’t Believe in Spooks“

Auf der Grundlage des Gebrüder Grimm – Märchens „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“ entwickelte die Regisseurin Regina Berges im April 2021 das Konzept für die Produktion „ Don´t believe in Spooks“. Ab Mai wurde mit dem Hauptdarsteller Michael Grunert in Einzelproben gearbeitet.

Vier Mitgliedern der Community Theatergruppe „Die Laborartisten“ kamen zu einzelnen Proben dazu. Regina Berges sah bei der Produktion eine Corona – bedingte Arbeit der Schauspieler*innen vor. Die Erzählerfigur agierte in einem geschlossenen Plexiglaskasten. Die weiteren Schauspieler*innen zeigten korrespondierende Szenen in ausreichendem Abstand voneinander auf der großen Bühne.

Auch wenn das genannte Märchen in voller Gänze erzählt wird, so ist das Stück oder besser die Performance kein Märchenstück und keine Märchenerzählung im herkömmlichen Sinne.
Die Szenen, die von den vier anderen SchauspielerInnen gespielt werden, haben keinen direkten Bezug zu der von Michael Grunert erzählten und mit einer abstrakten Bewegungssequenz unterlegten Geschichte.
Sie sind vielmehr Ausdruck von Gedanken, Fantasien und eigenen Erfahrungen der AkteurInnen zum Thema Angst, Furcht, Erschrockensein.

Die Aufführungen – Premiere und zwei weitere Vorstellungen – konnten vor Publikum vom 16. bis 18.10 2020 stattfinden.

Eine für den 13.11.2020 im Evangelischen Gemeindehaus Dreyen geplante Aufführung von „Don’t believe in Spooks“ fiel wegen des Lockdowns aus. Eine dann kurzfristig angedachte verkleinerte Fassung dieses Stücks in digitaler Form im Garten des Hauses Grabbe/Kiesewalter in Dreyen konnte aus technischen Gründen nicht durchgeführt werden.

Gastspielaufführungen

Im Rahmen von „Grenzgänge Stadtrand“ war für den 29.10.20 eine Aufführung von „Schlachter–Tango“ im Haus der Kulturen in Enger vorgesehen. Am 5.Oktober fand vor Ort ein Pressetermin statt und in der Folge kündigten die Engerschen Zeitungsausgaben die Aufführung an, die dann aber wegen des zweiten Lockdowns abgesagt werden musste. Auch eine dann kurzfristig angesetzte digitale Vorstellung konnte nicht durchgeführt werden, da der Raum für das Kamerateam unter Coronabedingungen zu klein war.

Auch eine für Mitte November geplante Aufführung von „Im Herzen ein Nest aus Stacheldraht“ im Flüchtlingscafé Jöllenbeck konnte aus den genannten Gründen nicht stattfinden.

Wir sind Europa. Unsere Gedanken, Stimmen und Erzählungen

Die Europawahl (im vorangegangenem Jahr) und die polarisierte politische Lage in Deutschland und Europa hatte in den Chormitgliedern des Frauenchors Tonwärts den Wunsch geweckt, sich zu positionieren und in Kooperation mit dem Theaterlabor einen europäischen Liederabend zu erarbeiten, der Musikstücke aus verschiedenen Ländern der EU präsentiert. Dazu sollten Menschen aus Bielefeld und Umgebung eingeladen werden, die in diesen Ländern geboren worden. Sie sollten Geschichten erzählen, wie sie als Eingewanderte den Alltag in Deutschland erleben. Der Abend sollte am 20.11.2020 mit Publikum in der Bürgerbegegnungsstätte Schloss Haus Werther stattfinden.

Bereits im Frühjahr 2020 wurde aufgrund der pandemischen Situation in der Planung der Schwerpunkt auf das Erzählen gelegt. Es sollte nun ein musikalischer Erzählabend werden, der live aus Schloss Haus Werther gestreamt werden soll. Seit Juli 2020 begannen die wöchentlichen Treffen und Proben dafür. Um dem Publikum an dem Abend trotzdem zeigen zu können, dass Tonwärts ein echter Chor ist, wurden filmisch zwei Aufzeichnungen von zwei Musikstücken festgehalten. Diese wurden, unter Einhaltung der Hygieneregeln, im Garten der Chorleiterin produziert. Die Audioaufnahmen dafür wurden im Saal des Theaterlabors hergestellt.

Die pandemische Situation ließ jedoch keine Umsetzung des Projektes mehr zu. Gemeinsam wurde beschlossen, die Veranstaltung, so wie sie als Erzählabend konzipiert ist, ins nächste Jahr zu verschieben. Dennoch wurde entschieden, den Termin am 20.11. zu nutzen, um noch in diesem Jahr einen kleinen Abschluss zu machen.

Das Projekt GRENZGÄNGE wird gefördert vom Ministerium für Kultur und Wisschenschaft des Landes NRW.